Anfang Oktober 1955
hatten wir den Südost- Passat südöstlich
von St. Helena erwischt. Genau vor 140 Jahren wurde Napoleon Bonaparte
am 18. Oktober 1815 auf dieser Insel mit
kleinem Hofstaat ausgesetzt, erfuhren wir von der Schiffsführung, und aus
diesem Grund hätten sich drei große Passagierschiffe mit mehreren tausend
Touristen an Bord vor der Insel eingefunden.
Da diese sich langweilten, hätten
die Passagierschiffskapitäne mit uns Kontakt aufgenommen und angefragt, ob wir
in der Lage und willens seien, mal große Segelkunst für zwei bis drei Stunden
vorzuführen.
Da stimmten alle zu, und keiner von uns fragte, ob von den gemunkelten
650.- US-Dollar pro Stunde auch nur eine Cent nach unten durchgereicht werden würde.
Egal, wir wollten.
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Uns
blieben nur zwei Stunden Zeit, um uns vorzubereiten. Angefangen vom Waschen, Kämmen
und sauberem Zeug anziehen mussten auch alle Leinen und Tampen akkurat platziert
werden. Mit voller Segelleistung stießen
wir auf die fünf Seemeilen nördlich von St. Helena liegenden Schiffen. Wie ein
Flottenkommando lagen sie da in Reih und Glied. Mit voller Fahrt kachelten wir
in einem Abstand von nur 200 Metern an ihnen vorbei. Mehrere tausend Arme auf jedem
Schiff winkten uns zu. Laut war das „OOH“ und „AAH“ aus vielen Mündern zu
hören. Die Schiffssirenen tuteten, die Schiffskapellen stimmten mit ein.
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Doch dafür hatten wir
keine Zeit. Die Pamir musste unter Kontrolle bleiben, und die erste Kür begann,
sowie wir das dritte Schiff passiert hatten. Da kam auch schon das Kommando:
“Klar zur Halse“. Jetzt musste das Schiff vor dem Wind um 270° gedreht werden,
um zwischen dem letzten und zweiten Schiff unter vollen Segeln durchzufahren.
Kaum waren wir zwischen dem Bug und Heck von zwei Schiffen durchgefahren, kam
das Kommando: „Klar zur Wende!“ Jetzt
wurde das Schiff um 90° durch den Wind gedreht und wir fuhren zwischen dem zweiten
und ersten Schiff hindurch. Dann drehten wir das Schiff weiter, bis es fast auf
Raumschotkurs fuhr, d.h. der Wind von achterlicher als querab kam und wir
erneut ganz dicht an allen Schiffen vorbei kamen.
Dieses
Mal waren wir noch dichter dran. Sechs Mann standen am Ruder, um das Schiff auf einen Grad genau auf Kurs
zu halten. Der Wind neigte das Schiff um gut 20° nach Steuerbord. Die oberen
Rahen berührten fast das oberste Schiffsdeck der MS „Morning Victory“, wo viele
Passagiere standen sowie zwei Stewards, die auf einer 3 Meter hohen Windhutze
saßen. Das wurde ihnen zum Verhängnis. Als das Fusspferd der Royal Rah sie von
ihrem Sitzplatz zu reißen drohte, griffen sie zu und hingen plötzlich in der
Luft!
| So schnell habe ich
die Leute vom Fockmast noch nie oben im Top gesehen, um den beiden zu helfen.
Nach
zehn Minuten waren sie sicher an Deck. Nun war guter Rat teuer. Wir hatten in
den letzten 90 Minuten tolle Manöver gefahren, aber die beiden Stewards wieder
abzuliefern, würde auch noch einige Zeit brauchen. Der Kapitän gab deshalb die
Order, noch eine Pirouette zu drehen: 360° rechtsrum. Zugleich sollte ein Teil
der Backbordwache ein Rettungsboot fertig machen. Am Ende der Drehung standen
wir kaum 300 Meter von der „Morning Victory“ entfernt und konnten eine Leine,
die mit einem Rettungsring in unsere Nähe getrieben war, ergreifen. Mit allseitigem
Einvernehmen wurden die beiden Stewards, mit Schwimmwesten versehen, an die
Leine angebunden und nach einem Sprung ins Wasser von ihren Leuten
zurückgeholt. Überall brandete Beifall auf.
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Ein Bootstransfer hätte länger
gedauert. Nochmals drehten wir das Schiff in eine gute Am-Wind-Position und
preschten mit berauschender Geschwindigkeit an der Armada vorbei, was den Jubel der Zuschauer noch
verstärkte.
Auch Napoleon wäre geneigt gewesen,
unsere Vorführung als Kurzweil seines St. Helena-Aufenthaltes zu genießen. Doch
wenn der schon seit 1821 nicht mehr dort war, was wollten die Touristen denn da
eigentlich?
PAMIR – 1930, Clip 6
Ludwig
van Beethoven
Bagatelles, Op. 33
Allegro,
ma non troppo (~3:30)
Bericht 16
Zu allen Berichten Teil II
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