Dass
wir gestern Abend Benny Goodman’s Klarinette zu hören bekamen, ist eine
Geschichte, die mit Aberglauben zu tun hat. Wenige von uns Decksjungen waren
abergläubisch. Wenige scherte es, welche Marotten andere hatten. Doch
über eine
wurden wir sofort nachdrücklich belehrt: Der Kapitän duldet kein
Pfeifen an
Bord! Keinerlei.
Nur die
Trillerpfeife des Wachoffiziers war gestattet.
Der
Kapitän befürchtete, dass jeder Ton, der mit dem
Pfeifen des Windes
in den Masten in Konkurrenz stehen konnte, die Elemente auf dumme
Gedanken bringen
und den Wind ganz einschlafen oder in Orkanstärke in die Segel
einfallen lassen
könnte. Als Strafe war aber nicht mehr Kielholen, wie vor 100 Jahren
vorgesehen, d.h. an Backbordseite ins Wasser geworfen und unter dem
Schiffskiel mit einer Leines um den Bauch, auf die Steuerbordseite
gezogen zu werden, sondern ein kaum milderes Prozedere.
Jetzt
musste der Delinquent eine Wache lang jede Stunde drei Mal vom Deck bis
zur
Royal Rah, in rund 50 Meter Höhe klettern und die restlichen 45
Minuten oben
Ausguck halten - bei jedem Wetter. Bei
Zeitüberschreitung war eine volle Wiederholung fällig. Die Furcht
war gewaltig, so einer Prozedur
ausgesetzt zu werden.
Alle
hatten
sich bisher daran gehalten, doch nur einen halben Tag vor Bahia Blanca
stürzte
der Kapitän an Deck und brüllte Erwin an:
„Du hast gepfiffen! Schon nach dem Auslaufen von
Paranagua und jetzt
wieder! Das hat uns den Pampero vor der Küste von Uruguay eingebracht und wird uns jetzt erneut
ein
Ungemach bescheren. Die vier Stunden Prozedur wird sofort angetreten,
damit der
Wind und die Elemente uns geneigt bleiben!“.
Erwin,
ein sehr ruhiger Typ, schien zutiefst betroffen und stotterte, dass er
nicht
gepfiffen, sondern Klarinette gespielt habe.
Nun
stotterte der Kapitän, dass er so etwas Blödes wohl noch nie gehört
habe und wo
denn das Instrument sei?
Da
strahlte Erwin und sagte, das brauche er nicht, um die
Klarinette aus dem Mozartkonzert klanggetreu zu präsentieren, und zwar so gut, wie Benny
Goodman
es auf Schallplatten eingespielt habe.
Jetzt
lief der Kapitän rot an und schien gleich zu platzen, als sich der
Wachhabende
einschaltete und bestätigte, dass es sich bei den von Erwin abgegebenen
Tönen
um die perfekte Wiedergabe des Klarinettensolos handele. Aus diesem
Grunde
hätte er, der Wachhabende, keine Einwände erhoben und
Erwin gewähren lassen. Das verblüffte
unseren Kapitän vollkommen. Er fragte, ob das noch jemand so sehe wie
der
Wachhabende. Keiner sagte ja, keiner sagte nein, aber einige meinten,
ausschließen könne man es nicht und es sei ein typischer Fall: In dubio
pro
reo!
Der
Kapitän legte die Stirn in Falten, sah Erwin scharf an und sprach:
„Wenn Du
versprichst, auf diesem Schiff nie wieder den Benny zu geben, biete ich
dir bei
der nächsten Gelegenheit an, dein Können unter Beweis zu stellen, und
zwar mit
einem Konzert vor der gesamten Mannschaft auf Luke 3. Stellt sich aber
heraus,
dass ich hier verhohnepiepelt wurde, ist das Strafprozedere zweimal fällig!“.
Erwin
wurde blass, quetschte ein JA heraus und trotte von dannen, wir anderen
unter
großer Erleichterung auch.
Vor
zwei Tagen nach unserer Segelshow
vor St. Helena
und weil wir die Mallungen. mit wenig Winde erreicht hatten, machte die
Nachricht die Runde, Erwin sei aufgefordet worden sein Konzert in zwei
Stunden, nach dem Abendessen, zu geben. Wir versammelten
uns alle
kurz vor Sonnenuntergang an und um die Luke 3. Wir hörten zunächst eine
kurze Einführung von Erwins erstem Unterstützer, dem II. Steuermann.
Dann Legte Erwin los.
Erwin
brachte tatsächlich schöne, melodische Tonfolgen hervor über eine lange Zeit. Inwieweit es
sich dabei immer um klassische Benny
Goodman Soli aus dem Klarinettebn Konzert handelte, blieb mir – und
wahrscheinlich auch
den
anderen - verborgen. aber alle hörten, das Erwin den Klang eine
Blasinstruments wiedergab und es kein Pfeifen war. Großer und
anhaltender Applaus wurde Erwin gespendet. Eine Zugabe gab es nicht. Er
bedankte
sich
artig und sagte dann laut und deutlich: „In Hamburg bin ich weg!“.
Schade, wohl viele hätten gern mehr von Erwins Können gehört.
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