Doch es passieren auf Segelschiffen Dinge, die eigentlich nicht passieren
können. Am Donnerstag war ich schon
mittags aus dem Urlaub in den Bremer Hafen zurückgekehrt. Dort lud die Pamir
Kohle für Montevideo, und sofort wurde ich für die kommende Nachtwache von
Mitternacht bis 06 Uhr früh eingeteilt, in einer voraussichtlich frostigen
Nacht. Schon kurz nach Wachbeginn nahm das Schicksal seinen Lauf: Wegen der
Kälte hatte ich alles angezogen, was ich hatte. Und darüber meine selbst
genähte Segeltuch-Designerlatzhose, die wegen eines nachmittäglichen
Regenschauers bei Arbeit am Ankerspill noch ziemlich nass und dadurch steif
war.
Wegen eines nahen Flugplatzes musste ganz an der Spitze, am Top des Großmastes
in 55 Meter Höhe, ein Licht brennen. Das brannte aber um 00:30 Uhr nicht. Der
Wachoffizier schickte mich, um das Licht da oben zu richten. Behände
erkletterte ich in eisiger Nachtkälte den Mast. Auf engstem Raum und ohne mich
wesentlich zu bewegen, schaffte ich es, das
Licht in etwa 15 Minuten zum Leuchten zu bringen. Eine stolze Leistung, fand
ich. Doch dann kam der Schreck: Ich kam nicht vom Fleck, die Hose war vereist. Die
Hosenbeine waren stahlhart gefroren. Ich rief um Hilfe, doch es dauerte lange,
bis jemand an Deck mich hörte und fragte, was denn los sei? Endlich erschienen zwei Kollegen auf der
Royal Rah. Doch statt anzupacken, lachten die sich fast tot. Nur sehr langsam
machten sie dem Wachoffizier Vorschläge, wie man mich abseilen könnte.
Nach einer Ewigkeit kam der 2. Bootsmann
Sven bei mir an, legte den Steuerbord Royal-Innengording (mit dem sonst das
Segel an die Rah gezogen wird) um meinen Brustkorb,
und in Schüben, denn die Leine musste laufend verlängert werden, erreichte ich
das Mittschiffsdeck. Noch steif gefroren lag ich langgestreckt an Deck, bis
eine Pütz mit warmem Wasser aus der Kombüse mich auftaute.
Ist die
Hose klamm und nass,
mindert Frost Designer-Spaß!
Diese Begebenheit
kann den Glanz meiner tollen Hose nicht
schmälern. Die Herstellung sah so aus: Vom Segelmacher erbat man zwei Stück
Segeltuch in Körpergröße. Dazu breitete man ein Stück Tuch auf der Luke aus, legte sich mit dem Bauch drauf und
zeichnete selbst oder mit Hilfe eines Dritten die körperlichen Umrisse von den
Fußknöcheln bis zur Oberkante Brustkorb auf. Beim
zweiten Segelstoffstück legte man sich auf den Rücken und stellte sicher,
dass die Maße bis zur Hüfte stimmten. Dann nähte man mit geteertem Segelgarn
das Ganze zusammen, fügte Hosenträger und
Taschen nach Wahl und Bedarf hinzu.
Die Eleganz des Kleidungsstücks war nicht
immer zu erkennen, die Praktikabilität aber schon.
Für
mich war nach der Rückkehr an Deck die Nachtwache vorbei. Der Wachoffizier
erkannte, dass ich wegen meiner Durchgefrorenheit zur Erkältung neigen und zum
Auslaufen in zwei Tagen nicht fit sein könnte.
Er entließ mich schon um 01:25
Uhr zum Aufwärmen in meine Hängematte. Im Einschlafen entwickelte ich eine
Warmluftheizung für Masten und Rahen, kam aber nicht weit damit. Zu schnell war
ich eingeschlafen. Dazu fällt mir jetzt noch folgende Anmerkung ein:
PAMIR – 1930, Clip 8 & 9
Ludwig
van Beethoven
Symphony
8 h-moll D 759
Andante con moito (~11:35)
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