Es war ein Samstag. Das Schiff war voll mit Kohle, und
so liefen wir unter dunklen Wolken, windigen Regenböen und mäßiger
Publikumsbeteiligung am 3. Dezember nach Montevideo aus. Der Lotse machte seine
Arbeit gut. In Bremerhaven machten wir noch einmal kurz an der Columbuskaje
fest. Vor uns lag der schmucke Superliner
„SS United States“, die erst vor 3 Jahren in Dienst gestellt
worden war.
Sie konnte entweder 2'000 Passagiere oder als
Truppentransporter 15'000 Personen befördern. Nachdem das Schiff bereits auf
der Jungfernfahrt nach Europa mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund
35 Knoten(*) das Blaue Band ergattert hatte, war es als schnellstes Schiff auf dem Nordatlantik
anerkannt.
(*) Anmerkung: Eine
Seemeile (sml) gleich 1'852,2 km. Eine Seemeile pro Stunde ist gleich 1 Knoten.
35 Knoten
(sml/Std) sind rund 65 Kilometer pro Stunde.
Nun lag sie
kaum 100 Meter vor uns und sollte nur wenige Minuten nach uns auslaufen. Was
nun unseren Kapitän geritten hatte, dem Kapitän der SS United States nicht
nur einen Besuch abzustatten, sondern ihm auch noch einen Deal vorzuschlagen,
verschlug uns allen die Sprache.
Wir erfuhren es, nachdem wir abgelegt hatten
und uns Richtung Wesermündung zum Leuchtturm „Roter Sand“ befanden. Bei
dem Deal ging es um nichts anderes als um das
„Blaue Band der Nordsee“. Demjenigen, der die Strecke von Roter Sand bis Höhe
Dover Mole am schnellsten schaffte, sollte diese Ehre zuteil werden und das
Recht, am linken Anzugärmel unten ein blaues Band mit dem Namenszug des
siegreichen Schiffes zu tragen. Das war verrückt! Doch unser Kapitän
erläuterte: „Das wird nicht leicht sein, ist aber zu schaffen. Es ist eine
Strecke von rund 600 Seemeilen (1'100 km). Wir haben den besten Westwind, und da wir nur halb so großen Tiefgang haben wie
die, können wir ideal Strömungen und Ebbe und
Flut ausnützen, was uns auf einigen Teilstrecken glatt einen
Geschwindigkeitsvorteil von bis zu sieben Seemeilen in der Stunde verschaffen
könnte. „Kinder“, fuhr er respektlos fort, „die SS United States wird
wegen ungünstiger Wellen schwer rollen und nicht ihre volle Geschwindigkeit
fahren können, wenn sie nicht alle Passagiere seekrank machen will. Wir dagegen
werden mit einer Schlagseite von 20-30 Grad ruhig in der See liegend
unsere Höchstgeschwindigkeit mit etwas über 20 Knoten erreichen
und zusammen mit den Meeresströmungen könnte
das fast 50 Kilometer die Stunde
bringen.“ Gesagt getan. Wer von uns wollte bei so einer Herausforderung abseits
stehen.
Bis Roter
Sand wurde nun alles festgezurrt, alles aufgeräumt, alles vorbereitet, alles
kontrolliert. Nur, als wir den Leuchtturm in der Wesermündung erreicht hatten,
war vom Wettbewerber nichts zu sehen. Der Kapitän wollte schon weiterfahren,
doch wir protestierten mit der Begründung, dass wir, bei den tollen
Segelbedingungen, die es die nächsten 24 Stunden nach seinen Erzählungen gäbe,
drei Stunden Wartezeit spielend wieder heraussegeln würden. Nach 120 Minuten
sahen wir zwei qualmende Schornsteine am südlichen Horizont.
Wir
setzten den ersten Satz Segel, dann den zweiten, dann den dritten, und als die SS United States an Steuerbord quer ab
war, alles was wir an Segel hatten und setzen konnten. Die Kapitäne nickten
sich zu. Das Rennen hatte begonnen. Die See war rau. Der Konkurrent rollte und
stampfte. Eine Stunde fuhren wir gleichauf, um dann weiter östlich auf die
holländische Küste zuzusteuern. Schnell waren wir allein, die Nacht war
angebrochen. Der Wind heulte mit 7-8 Windstärken. Kapitän und Offiziere waren
in Dauerberatung und wir, das Deckpersonal, froren und klapperten und rissen an
Tauen und drehten an Winden, was einen die Kälte vergessen ließ. Wenn, dann nur
auf die schnelle, ließ man sich vom Koch oder Kochmaat einen heißen Tee oder
eine Brühe geben, um sofort wieder die Stellung der Segel zu verbessern.
Geschwindigkeit,
Geschwindigkeit war das Gebot der Stunde. Das gelang. Wir waren in Höchstform.
Es war wie im Rausch. Die Zeit verlief schnell. Doch würde es ausreichen? Wer
würde im Morgengrauen vor Dover zuerst auftauchen?
Ab fünf Uhr in der Früh hatten wir unseren Kurs auf Südengland
gerichtet. Wind und Strömung erlaubten uns, zwischen 35 und 50 km pro Stunde
voranzukommen. Erst in zwei Stunden, beim Einsetzen des Tageslichts, würden wir
wissen, wer die größeren Chancen hatte, am frühen Nachmittag als erster an
Dover vorbeizukommen. Um 09 Uhr sah alles schlecht aus. SIE war vor uns, zwei
bis drei Seemeilen, und noch vier Stunden bis Dover. Wir trimmten nochmals
alles, aber der Abstand blieb.
Doch plötzlich waren wir Ruck-Zuck vorbei und die SS United States fiel achteraus.
Eine ihrer vier Turbinen musste für drei Stunden ausgeschaltet werden,
übermittelte der Kapitän uns mit dem Glückwunsch zum „Blauen Band der Nordsee“,
das wir mit Bravour ersegelt hätten.
Auch wir, die Decksjungen, wurden vom Kapitän
gelobt mit der Maßgabe, dass nun die halbe Mannschaft für vier Stunden
Freiwache hätte, während die anderen die günstigen Winde mit weiterem Einsatz
voll nutzen sollten. Das blaue Band mit dem Namenszug PAMIR würde er in
Südamerika besorgen - oder in Hamburg.
Zu
Bericht 24
Zu allen
Berichten Teil III
https://de.wikipedia.org/wiki/Blaues_Band
(seit 1929 - Erster Rekordhalter "Sirius" 1838)
Bremen |
Norddeutscher Lloyd |
Juli 1929 |
27,83 Kn. |
Juli 1929 |
27,91 Kn. |
130.000 PSw |
51.656 BRT |
D |
Europa |
Norddeutscher Lloyd |
Mär. 1930 |
27,91 Kn. |
− |
− |
130.000 PSw |
49.746 BRT |
D |
Rex |
Italia S.A.N. |
Aug. 1933 |
28,92 Kn. |
− |
− |
142.000 PSw |
51.062 BRT |
Italien |
Normandie |
Compagnie Générale Transatlantique |
Juni 1935 |
29,98 Kn. |
Juni 1935 |
30,31 Kn. |
165.000 PSw |
79.280 BRT |
F |
Queen Mary |
Cunard-White Star |
Aug. 1936 |
30,14 Kn. |
Aug. 1936 |
30,63 Kn. |
200.000 PSw |
80.774 BRT |
UK |
United States |
United States Lines |
Juli 1952 |
34,51 Kn |
Juli 1952 |
35,59 Kn. |
240.000 PSw |
53.329 BRT |
USA |
|