Da ohnehin in Rosario alles ganz schnell gehen sollte,
waren die Luken voll, fast von dem Moment an, an dem die Silorüssel rein
gehalten wurden. Bei so wenig Zeit würde die Wiege des Tangos, so wurde
gemunkelt, von mir und vielen anderen nicht erkundet werden. Wie hätte man in
zwei, drei Stunden zum Hüftschwung gefunden? Zu knapp war auch das Taschengeld,
das gespeist wurde aus einem Monatssalär von 50.- Deutschen Mark. Darüber hinaus
bestimmte das Schicksal des Ankerspills unsere nächste Planung. Die fiel wie
gewünscht aus: Reparatur in Buenos Aires. Zwei Wochen plus könnte es dauern,
das war sehr willkommen. Schon vorgestern Abend, nach nur zwei Tagen, wurden
die Luken zugemacht und kurz nach Mitternacht die Fahrt mit Maschine nach
Buenos Aires angetreten. Da wir einen Anker werfen, aber nicht wieder hätten
einholen können, begleitete uns ein Schlepper.
Der Fluss schob uns so kräftig, dass
wir nach nur 18 Stunden Fahrt mit großem Hallo von Land und von uns an einer Kaimauer festmachen konnten. Seit 12 Tagen
liegen wir nun schon hier. Heute finde ich Zeit zum Schreiben, denn die
Erlaubnis, alle zwei Tage ab Mittag an Land zu gehen, wurde mir wegen eines
(fast) unsichtbaren Flecks auf dem Hemd verweigert. Bisher
waren diese Landgänge schön, und einmal war sogar ein Ausflug von fast 32
Stunden in die Pampa weit vor den Toren der Stadt dabei. Das war letzten
Dienstag gegen 14 Uhr. Da saßen im Vorort Lujan, etliche Kilometer vom Liegeplatz
der Pamir entfernt, vier Azubis und vier Gauchos auf acht Pferden, und auf ging
es zu der Estancia "El Boa Nova", wohin wir eingeladen waren. Ich
fiel anfangs nur zweimal fast vom Pferd, danach gelangen mir die weiteren drei
Stunden kräftigen Ritts durch weiches grünes Grass ganz gut. Tausende glückliche
Kühe grasten um uns herum. Einem Rindvieh würden wir heute Abend wohl
gegenübertreten: Steak und Mate war wohl das, was die Argentinier am besten
können, war mein Eindruck nach den ersten Tagen.
Es lag bestimmt an den Pferden, dass keiner von uns Schaden nahm, die
Sitzfläche ausgenommen. Wie gut, dass uns an diesem Tag das Wetter hold war. Und
mit dem Gastgeber im Angesicht eines ganzen Rinds am Spieß über die Weiten der
Pampa und der Meere sprechen zu können, mit seiner großen Familie und zwei
Dutzend Gauchos am Feuer zu sitzen, war stimmungsvoll.
Abends aßen wir das köstlichste Fleisch und tranken
Mate-Tee aus getrockneten Kürbissen durch Saugen an einem metallenen Halm mit
Filter unten dran. Man spürte seinen Koffeingehalt, was meine totale Müdigkeit
weit vor Mitternacht aber nicht verhinderte. Die Gauchos gingen auch früh
schlafen und mit Dank an unseren Gastgeber brachen wir am nächsten Morgen früh
auf. Es regnete Bindfäden. Etwas schützten uns die Ponchos, die uns die Gauchos
großherzig überlassen hatten.
Bis auf den vermasselten Nachmittag heute war ich schon fünfmal an Land. Einmal
für einen dreistündigen Ausflug zum neuen Segelschiff der Marine auf der Werft
östlich von Buenos Aires, was nur bedingt meine Stimmung hob. Bei
vergleichbarer Größe mit der Pamir sollten rund 250 Mann an Bord sein. Wir
fuhren mit 85 Mann!
Die anderen Landgangszeiten verbrachten Ulv und ich mit den Töchtern der
Familie Winter, manchmal auch mit deren Eltern. Highlight war der Besuch
im „Klub Rosario“ im Delta del Tigre
mit einem großen Schwimmbecken. Zunächst war Wasserhandball angesagt, dann
Fleisch, Fleisch und nochmals köstlich gegrilltes Asado. Es gab auch mal ein
Picknick im Park, und wenn man nicht Karneval in Rio haben kann, dann feiert
man Karneval in Buenos Aires, wie am Samstag geschehen, auch wenn bei mir der
richtige Schwung ausblieb. Hätte man sich doch in Rosario um Tango kümmern
sollen?
Der heutige Tag ist sehr ärgerlich. Übermorgen ist wohl der letzte Landgang.
Dann heißt es Abschiednehmen von schönen Tagen, und leise werden ich und auch
andere singen:
„I cry for you Argentina“.
Buenos Aires in Postkarten 1956
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Theaterbesuch im Februar 1956.
Das Teatro Colón ist das bekannteste Theater in Buenos
Aires, Argentinien und gehört zu den berühmtesten Opernhäusern
der Welt, mit 2500 Sitz- und 1000 Stehplätze.
Aufnahme links von wikipedia
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PAMIR – 1930, Clip 14
Ludwig
van Beethoven
Sonatine,
ad 5 no1
G-dur;
moderato-romance (~4m)
Zu Bericht 33
Zu allen
Berichten Teil IV
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