Der
gestrige Tag wird fuer mich unvergessen bleiben. Es
gab zwei Ereignisse. Eines gleich nach Mittenacht und war sau-blöd, das
zweite
am Nachmittag dagegen ungewöhnlich und himmlisch.
Gleich
nach Mitternacht hielt ich pflichtgemaeß für eine Stunde Ausguck auf
der Back. Bereits seit Tagen segelten wir hier in der Mitte des
Suedatlantiks in
einem Seegebiet, in dem seit 100 Jahren kein Dampfer mehr gesehen
wurde. Um
00:30 Uhr schlug ich die Schiffglocke einmal an und meldete in Richtung
Wachoffizier: „Auf der Back ist alles wohl. Die Lampen brennen hell und
klar!“
Dann blickte ich wieder voraus nach Norden auf die sternenüberspannte
See.
Plötzlich brüllte mich von hinten jemand an: „Du hast geschlafen“. Ich
erwiderte: „Ich habe nicht geschlafen“. Darauf wieder er: „Ich habe meinen Arm
vor deinen Augen auf und ab bewegt. Du hast nicht reagiert“. Ich: „Ich soll
doch vorausschauen und mich nicht ablenken lassen!“, usw., usw. Dann rannte er
über den Laufsteg zum Mittelschiff und rief: „Der hat geschlafen!“ Dass fand
ich nicht witzig, es sei denn, wenn ich tatsächlich im Stehen geschlafen hätte.
Können bestimmt nicht viele.
Das Ausguck-Highlight kam am Nachmittag. Der 2. Maschinist war ein
leidenschaftlicher Fallschirmspringer und Bastler. Auf der letzten
Reise hatte
er mit dem Kapitän eine Möglichkeit diskutiert, Ausguck über den
Mastspitzen zu
halten. Für einen Drachen hatte er Fallschirmstoff über dünne
Aluminiumrohre
und ein paar Bambusrohre gespannt und die Flugtauglichkeit auf der
letzten
Reise hier im Suedwest Passat für wenige Minuten selber demonstriert.
Danach
meinte er, einige konstruktive Verbesserungen seien noetig und möglich,
aber die
Gewichtsgrenze des Drachenfliegers dürfe 65 Kilogramm
nicht
überschreiten.
Deswegen hatte für den seit Wochen anstehenden Flugtest mit max.
3 Azubis ein Auswahlverfahren stattgefunden (Freiwillig und unter 60 kg Gewicht). Nach
Losentscheid unter sechs Kandidaten blieben drei übrig, und ich gehörte
dazu.
Ich war um
15:30 als zweiter an der
Reihe, und meine Flugzeit sollte laut Plan nicht länger als 12 Minuten
dauern.
Das ganze Unternehmen war spielend leicht. Es war wie beim
Drachenfliegen am
Strand. Um den Bauch waren zwei Leinen befestigt. Eine war kürzer als
20 Meter
und wurde von mir bedient. Für die andere Leine, mit über 200 Meter
Länge,
waren zwei Matrosen auf der Royal Rah des Kreuzmastes und zwei weitere
auf der
Poop (Achterdeck) verantwortlich. Der Ab- und Aufflug am Top des Mastes
war
durch den hohen Windauftrieb gesichert. Über die riesige Segelfläche
vom
Kreuzmast-Großsegel (Bagien oder Kreuzsegel) bis zum Kreuzroyalsegel
entstand
ein starker, vertikal strömender Windschub. Problemlos fing man an zu
schweben.
Dann steckte man Leine, einen Meter, zwei, fünf und dann zehn Meter und
mehr.
Jetzt konnte man sogar hoeher als die Mastspitze fliegen und weit
schauen,
bestimmt 20 Seemeilen. Aufpassen musste man schon. Auch war mir schnell
klar,
dass dieser Art Ausguck nicht die Zukunft gehoerte. Sicher landete ich wieder auf der Rah.
Eine
Gefahr hatte es zu keiner Zeit gegeben. Nur die Aufregung, etwas
Tolles zu erleben, war groß gewesen. Solange wir die 20 Meter Leine
nicht lösen
würden, konnten wir nie an Deck fallen. Sollte diese aber gelöst
werden, um
vielleicht 50 Meter höher als die Mastspitzen zu fliegen, wäre der
Flieger
allenfalls ins Kielwasser gefallen und man hätte ihn an der 200 Meter
Leine
wieder aus dem Wasser gezogen.
Dem
Wachoffizier der Mitternachtswache versicherte ich noch am selben
Abend:
„Da oben habe ich auch nicht
geschlafen!
Nur vorausgeschaut! Nicht wahr?!“.
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PAMIR – 1930, Clip 15
Ludwig
van Beethoven
Sonata
No 19, G minor op 49/1
Andante
(~4m)
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