Wie das passieren
konnte, ist uns schleierhaft. Vor Tagen hatten wir den Äquator überquert, waren
aber noch immer nahe dran. Seit Wochen warten wir auf Wind, und wir warten, und
warten, nur weil wir zu wenig Treibstoff für die Maschine haben, um uns durch zwei,
drei Tage Motoren aus dieser Lage zu befreien. Das wenige, was wir haben, muss
für einen Notfall und für den Englischen Kanal vorgehalten werden. So weit so
gut, aber inzwischen haben wir ein weiteres Problem.
Wie konnte es nur
passieren, dass wir zu wenig Proviant an Bord hatten! Fast nur noch Getreide!
Seit gestern wissen wir es. Das wurde ganz unspektakulär auch uns, den niederen
Chargen, mitgeteilt. Wir wurden angewiesen, mit einem „Ding“ Getreide im
Zwischendeck der Luke 2 zu mahlen.
Eigentlich ist das „Ding“ wohl mal als Kaffeemühle erfunden worden, nun
wurde sie als Mehlmühle missbraucht.
Dazu sollten zwei Mann
von der Wache die Mühle mit dem vor ihnen liegenden Getreide füllen, um dann
durch Drehen der beiden Hebel links und rechts daraus Mehl zu machen. Die
Produktion verlief langsam, war anstrengend und erforderte alle dreißig Minuten
eine Ablösung. Das Ergebnis zu Brot verarbeitet, schmeckte einwandfrei. Es
schien eine brauchbare Lösung gefunden zu sein.
Seit Sonntag ist jedoch
klar, dass die Produktion erhöht werden muss, um über 80 Personen einigermaßen
zu ernähren. Mit der Kaffeemaschine ging das, auch bei durchgehender
Nachtarbeit, nicht. Mehr drehen war nicht drin. Da hatte Simon die Idee, die Getreidekörner mit einem eisernen Koffeenagel platt
zu klopfen. Gesagt getan. Aus mehreren mit Getreide gefüllten Eimern holten wir
jeder zwei Hände voll Getreidekörner, suchten eine harte Unterlage und einen
eisernen Koffeenagel. Dann ging es los. Es bedurfte wohl an die 100 bis 200
Versuche, bis man den Dreh raus hatte, das Korn so zu treffen, dass es platt
und mehlig dalag. Auch dann benötigt man erhebliche Zeit, um nur 100 Gramm von
rund zu flach zu transformieren.
Allen war klar, dass, um
uns am Leben zu erhalten, die Plattklopfaktion neben dem Mehlmahlen so lange
notwendig sein würde, bis neuer Proviant an Bord genommen werden konnte. Jeder
wird bis dahin nun mindestens eine Stunde seiner Freiwache opfern müssen, um
genügend Getreidemus zu produzieren. Die Bezeichnung „Mus“ schien Simon nicht
sehr zu gefallen. Das klänge so negativ.
Dieses platte Getreide
sei doch toll. In seiner Schweizer Heimat würde man „Müsli“ sagen, und so wolle
er unsere Kreation seiner Familie mit einem Mühlenbetrieb im Baseler Land auf
seinem nächsten Urlaub auch vorstellen. Was sollten wir dagegen haben.
Vielleicht wird es eines Tages als Pamir- oder Schweizer-Müsli bekannt. Seit
gestern ernähren wir uns von Mehl, Müsli und der Hoffung, dass der Wind und
gute Navigation uns zu einem Hafen bringt, der genügend Proviant bereit hält. Nun muss
ich aber wieder los: Müsli machen.
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