Bericht 36: Eine Wasserhose für den Dritten

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Der III. Steuermann, ich nenne ihn mal Wotan Streit, war, wenn es um eine Attacke auf die Meteorologie ging, nie verlegen. Selten ließ er einen von den vielen täglich eingehenden Wetterberichten unkommentiert: inkompetent, stupid, hoffnungslos. Wenn es auf einer der Nachtwachen  langweilig und nichts los war, brauchte man nur aufs Mitteldeck zu gehen und den Dritten, wenn auch er auf Wache war, in Sachen Wetterkunde zu befragen. Er belehrte uns bereitwillig, was markige Sprüche auf die Wetterleute nicht ausschloss. Ein beliebtes Thema waren z.B. die ungenauen Vorhersagen.

 
„Die kapieren nicht, dass die Meere der Motor des Wettergeschehens und die Kontinente Wetterbremser sind. Es geht um das Wasser in der Luft. Dort ist global nur die Hälfte des Wasservolumens der Ostsee aktiv, wird aber mehr als 30-mal pro Jahr komplett ausgetauscht. Dazu trägt das Meer zu mehr als 85% bei.“ Besonders regte sich der Dritte darüber auf, dass seit dem Beginn des 2. Weltkrieges die Erde abkühle, aber die Meteorologen nicht die kleinste Anstrengung unternähmen,  festzustellen, ob der letzte Seekrieg im Atlantik und Pazifik dazu beigetragen habe. Auch wenn der Dritte zu diesen Fragen manchmal reichlich durchgeknallt zu sein schien, wurde sein Wetterenthusiasmus mächtig bewundert. Das hätte gestern fast ins Auge gehen können, als er in das Auge einer Wasserhose geriet.

Es war kurz nach Beginn der Vormittagswache. Bei schönstem Wetter und sanfter Brise, war nahezu die ganze Besatzung an Deck beschäftigt: Segel- und Tauwerk wechseln und Dutzende anderer Klein-Klein-Tätigkeiten. Da ertönte der Ruf durchs ganze Schiff: „Wasserhose zwei Strich an Steuerbord voraus“. Alle guckten hin, nur einer rannte und erklomm den Fockmast in Spitzenschnelligkeit. Es war Wotan Streit, der das Ereignis von der Royal Rah aus fotografieren wollte. Wir an Deck bewunderten den Schlauch, der sich von einer niedrigen Kompaktwolke bis auf die Seeoberfläche erstreckte und die See zu einer weißen Gischtwolke aufwirbelte.

 
So etwas hatte ich noch nie gesehen. Zunächst war das Gebilde wohl eine Seemeile entfernt und nahezu stationär. Doch plötzlich änderte sich das und der Rüssel kam näher, immer schneller näher. Schnell wurden die Großsegel aufgegeit (an die Rah gezogen) und Oberbram und
Obermars Rahen abgesenkt, um die Segelfläche zu reduzieren. Als ein Zusammentreffen mit der Wasserhose unausweichlich war, richteten sich erneut viele Blicke auf unseren Dritten. Hoch oben im Top lehnte er sich über die Rah und fotografierte. Dann passierte das Unglaubliche. Ohne den Schlauch aus dem Wasser zu nehmen, formte die Wasserhose in 50 Meter Höhe einen Zacken, der die Nock der Royal Rah erfasste und damit auch den Wotan Streit.

 Dieser, der offensichtlich die eiserne Grundregel missachtet hatte, sich mit einem Life-Bändsel an der Rah einzuklinken, befand sich plötzlich in dem Schlauch, rund 50 Meter über dem Meer und 150 Meter unter der Wolke und drehte sich im Kreis, wie verrückt. Langsam stieg er auf. Dann war er für uns überhaupt nicht mehr zu sehen. Dort, wo er war, war nur weiß zu sehen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, dann sah man ihn wieder: Und es ging abwärts mit ihm. Er schien in der Röhre runter zu rutschen, erst ein wenig, dann schneller. Plötzlich klatschte er ins Meer. Die Wasserhose bewegte sich noch weiter achteraus für nur wenige Minuten und war dann weg.         

Der Dritte war nicht weit vom Schiff entfernt, aber viel zu weit, um ihn mit einer Wurfleine zu erreichen. Durch Brassen der noch stehenden Segel war alle Fahrt aus der Pamir sofort rausgenommen worden. Wenigstens drei Rettungsringe wurden ausgeworfen und ein Rettungsboot fertiggemacht. Bis man damit fertig war, waren unsere beiden Leistungsschwimmer Ulf und Norbert schon längst mit einer Leine um den Bauch von der Poop in die See gesprungen.
Nachdem beide rund 500 Meter zurückgelegt hatten, blieb Ulf mit seiner Leine mit uns verbunden, während Norberts Leine an Bord
losgeworfen wurde. Damit schwamm Norbert weiter, währenddessen glitt dessen Leine durchs Ulfs Hände.

Als Norbert den Dritten erreicht hatte, zog Ulf an der Leine und wir zogen an Ulfs Leine. Das ganze Manöver hatte kaum mehr als 15 Minuten gedauert, dann waren alle drei aus dem Wasser gezogen. Auf die Frage an den Dritten, wie es denn war, sagte er sinngemäß: Mit dieser rasanten Drehgeschwindigkeit war ich fast im Himmel. Dann fühlte ich mich wie in einer Dusche, wo das Wasser von unten kommt. Dass war so heftig, dass es meinen Fotoapparat mit vielen tollen Fotos in den Himmel riss. Sie hätten den Transport von Meerwasser in die Luft in einzigartiger Weise dokumentiert.“


Dann sprach der Kapitän: „Bei Ihrem Ausflug zum Himmel hätten Sie ja wenigstens klären können, was es mit der globalen Abkühlung seit 15 Jahren auf sich hat. Hier auf der Erde werden Sie gerügt, Wotan Streit, dass Sie sich ohne Sicherung in der Takelage aufgehalt
"

 
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