Der III. Steuermann, ich nenne ihn mal Wotan Streit, war, wenn es um
eine Attacke auf die Meteorologie ging, nie verlegen. Selten ließ er einen von
den vielen täglich eingehenden Wetterberichten unkommentiert: inkompetent,
stupid, hoffnungslos. Wenn es auf einer der Nachtwachen langweilig und nichts los war,
brauchte man nur aufs Mitteldeck zu gehen und den Dritten, wenn auch er auf
Wache war, in Sachen Wetterkunde zu befragen. Er belehrte uns bereitwillig, was
markige Sprüche auf die Wetterleute nicht ausschloss. Ein beliebtes Thema
waren z.B. die ungenauen Vorhersagen.
„Die kapieren nicht, dass die Meere der Motor des Wettergeschehens und die
Kontinente Wetterbremser sind. Es geht um das Wasser in der Luft. Dort ist
global nur die Hälfte des Wasservolumens der Ostsee aktiv, wird aber mehr als
30-mal pro Jahr komplett ausgetauscht. Dazu trägt das Meer zu mehr als 85%
bei.“ Besonders regte sich der Dritte darüber auf, dass seit
dem Beginn des 2. Weltkrieges die Erde abkühle, aber die Meteorologen nicht die
kleinste Anstrengung unternähmen, festzustellen, ob der letzte Seekrieg im
Atlantik und Pazifik dazu beigetragen habe. Auch wenn der Dritte zu diesen
Fragen manchmal reichlich durchgeknallt zu sein schien, wurde sein
Wetterenthusiasmus mächtig bewundert. Das hätte gestern fast ins Auge gehen
können, als er in das Auge einer Wasserhose geriet.
Es war kurz nach Beginn der Vormittagswache. Bei schönstem Wetter und sanfter
Brise, war nahezu die ganze Besatzung an Deck beschäftigt: Segel- und Tauwerk
wechseln und Dutzende anderer Klein-Klein-Tätigkeiten. Da ertönte der Ruf durchs
ganze Schiff: „Wasserhose zwei Strich an
Steuerbord voraus“. Alle guckten hin, nur einer rannte und erklomm den
Fockmast in Spitzenschnelligkeit. Es war Wotan Streit, der das Ereignis
von der Royal Rah aus fotografieren wollte. Wir an Deck bewunderten den
Schlauch, der sich von einer niedrigen Kompaktwolke bis auf die Seeoberfläche
erstreckte und die See zu einer weißen Gischtwolke aufwirbelte.
So etwas hatte ich noch
nie gesehen. Zunächst war das Gebilde wohl eine Seemeile entfernt und nahezu
stationär. Doch plötzlich änderte sich das und der Rüssel kam näher, immer
schneller näher. Schnell wurden die Großsegel aufgegeit (an die Rah gezogen)
und Oberbram und Obermars Rahen abgesenkt, um die Segelfläche zu reduzieren. Als ein
Zusammentreffen mit der Wasserhose unausweichlich war, richteten sich erneut
viele Blicke auf unseren Dritten. Hoch oben im Top lehnte er sich über die Rah
und fotografierte. Dann passierte das Unglaubliche. Ohne den Schlauch aus dem
Wasser zu nehmen, formte die Wasserhose in 50 Meter Höhe einen Zacken, der die
Nock der Royal Rah erfasste und damit auch den Wotan Streit.
Dieser, der
offensichtlich die eiserne Grundregel missachtet hatte, sich mit einem
Life-Bändsel an der Rah einzuklinken, befand sich plötzlich in dem Schlauch,
rund 50 Meter über dem Meer und 150 Meter unter der Wolke und drehte sich im
Kreis, wie verrückt. Langsam stieg er auf. Dann war er für uns überhaupt nicht
mehr zu sehen. Dort, wo er war, war nur weiß zu sehen. Es dauerte eine gefühlte
Ewigkeit, dann sah man ihn wieder: Und es ging abwärts mit ihm. Er schien in
der Röhre runter zu rutschen, erst ein wenig, dann schneller. Plötzlich
klatschte er ins Meer. Die Wasserhose bewegte sich noch weiter achteraus für
nur wenige Minuten und war dann weg.
Der Dritte war nicht
weit vom Schiff entfernt, aber viel zu weit, um ihn mit einer Wurfleine zu
erreichen. Durch Brassen der noch stehenden Segel war alle Fahrt aus der Pamir
sofort rausgenommen worden. Wenigstens drei Rettungsringe wurden ausgeworfen
und ein Rettungsboot fertiggemacht. Bis man damit fertig war, waren unsere
beiden Leistungsschwimmer Ulf und Norbert schon längst mit einer Leine um den
Bauch von der Poop in die See gesprungen.
Nachdem beide rund 500 Meter zurückgelegt hatten, blieb Ulf mit seiner Leine
mit uns verbunden, während Norberts Leine an Bord losgeworfen wurde. Damit
schwamm Norbert weiter, währenddessen glitt dessen Leine durchs Ulfs Hände.
Als Norbert den
Dritten erreicht hatte, zog Ulf an der Leine und wir zogen an Ulfs Leine. Das
ganze Manöver hatte kaum mehr als 15 Minuten gedauert, dann waren alle drei aus
dem Wasser gezogen. Auf die Frage an den Dritten, wie es denn war, sagte er
sinngemäß: „Mit dieser rasanten Drehgeschwindigkeit war ich fast im Himmel.
Dann fühlte ich mich wie in einer Dusche, wo das Wasser von unten kommt. Dass
war so heftig, dass es meinen Fotoapparat mit vielen tollen Fotos in den Himmel
riss. Sie hätten den Transport von Meerwasser in die Luft in einzigartiger
Weise dokumentiert.“
Dann sprach der Kapitän: „Bei
Ihrem Ausflug zum Himmel hätten Sie ja wenigstens klären können, was es mit der
globalen Abkühlung seit 15 Jahren auf sich hat. Hier auf der Erde werden Sie
gerügt, Wotan Streit, dass Sie sich ohne Sicherung in der Takelage aufgehalt "
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