Was wir nicht wussten, dass unsere beiden Weihnachtsgäste
aufeinander angesetzt waren. Nie wurde der Gegner aus den Augen gelassen. Jede
Bewegung wurde zu den eigenen Marineleitstellen gemeldet. Während wir in
Südamerika ein wenig Land und Leute gesehen hatten, war der kalte Krieg im
Nordatlantik weitergegangen. Aber vielleicht doch nicht so verbissen, wie es
aus größerer Entfernung aussehen mag. Die festliche Stunde auf der Pamir unter
der weihnachtlichen Beleuchtung über alle Toppen hatte einen Kontaktfaden
begründet, der beide Schiffe wieder an unsere Seiten brachte, kaum das wir das
Erlebnis mit der Wasserhose hinter uns gelassen hatten.
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Noch vor Einbruch der Dunkelheit rauschten die beiden
Kriegschiffe auf uns zu. Von achteraus kommend, platzierten sie sich wieder an
unserer Backbord- und Steuerbordseite. Erneut fragten sie an, ob sie uns mit je
einer Gruppe von 25 Sailors einen Besuch abstatten könnten, denn sie hätten
sich auf einen Punkt einigen können: In der ganzen Welt gäbe es wohl keine so
große Leinwand wie eines unserer unteren großen Segel mit rund 300 Quadratmeter
Fläche. Eines davon wollten sie gerne nutzen, um sich die neuesten Filme ihrer
Länder anzuschauen. Dies hätten sie schon vor einigen Tagen abgesprochen, als
sie hörten, dass wir demnächst hier vorbei kämen. Unsere Fahrt müssten wir
allerdings auf unter drei Knoten (ca. 5 km/Std) reduzieren. Die Erlaubnis wurde
für eine Zeitspanne von zwei Stunden erteilt; vermutlich, weil unser Kapitän
mit einem Abmarsch zum Zapfenstreich um 22:30h –wie gehabt – rechnete.
Es dauerte keine halbe Stunde, da kamen sie von links und
rechts mit mehreren Booten und Sailors in blauer Arbeitsuniform längsseits.
Jeder hatte etwas in der Hand, unter dem Arm oder auf dem Rücken. Das war
Material, das, jeweils richtig zusammengesetzt, genau zwei funktionstüchtige
Filmprojektoren ergab. Sie standen nebeneinander auf dem Ruderhaus mit den
Projektoren nach achtern auf das Bagien-Segel. Die Rah wurde noch mittschiffs
geriggt, d.h. so gestellt, dass sie Querschiffs stand und der Wind das Segel
noch prall auffüllte. The show
could start.
Es ging tatsächlich aber erst los, als die Ost-West
Gegner noch das Problem des Ersten gelöst hatten. Ohne Worte zu wechseln wurde
eine Münze zwischen zwei mit je drei Goldstreifen bestückten Offizieren
geworfen. Die Rote Flotte fing an. Gezeigt wurde der vor wenigen Tagen
uraufgeführte Film „Ромео и Джульетта“, der unschwer die Shakespeare Geschichte von Romeo und Julia*), dargestellt von einer
tollen Balletttruppe, erkennen ließ.
*) Das Ballett wurde von Sergi Prokofiev im September 1935 komponiert.
Die Musik quietschte mächtig, weil der Lautsprecher es
nicht schaffte, aber das Ballett über das gewölbte Segel schweben zu sehen,
überwältigte alle. Auch die Fregatten waren wieder nahe aufgerückt, und die
Decks waren voll mit mitschauenden Besatzungen.
Der Wechsel zu den Amerikanern war fast fliegend, doch
der verantwortliche Dreistreifige sprach doch noch ein paar Worte: „Heute sei hier eine Fastpremiere des Films,
der erst im Juli in die Kinos gehe. Es sei aber nur eine Teilpremiere, denn den
Ton könnten sie nicht mit an Bord bekommen. Aber die Musik zum Film hätten sie
auf Schallplatten und würden sie vorspielen. Hier ist der Film: „High Society“ mit Bing Crosby,
Grace Kelly, Frank Sinatra und Louis Armstrong, alles in Technicolor: Gute
Unterhaltung! Apropos: Vorgestern hat Frau Kelly den Fürsten Rainer III von
Monaco geheiratet und nennt sich nun: Princess Grace!“
Nun tobten farbige Szenen über das Segel, zu denen Worte
nicht Not taten. Flotte Musik untermalte den Verlauf. Wohl alle waren auf den
Füßen, als Satchmo die Trompete
spielte und zusammen mit Frank Sinatra den Song
"Now You Have Jazz"
brachte. Aus zwei Lautsprechern wurden die entsprechenden Musikstücke mit Wucht
eingespielt. Wie beim letzten Mal waren die Schiffe unserer Gäste „nahe bei“
und die Besatzungen schauten dem Filmspektakel zu.
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Doch plötzlich war die Stimmung futsch. Unsere Gäste
brachen noch weit vor dem Zapfenstreich in Eile auf und waren mit ihren Filmen
und Projektoren fast im Sekundentakt von Bord verschwunden. Das Rätsel löste sich
für uns erst nach Mitternacht. In der Vierzonenstadt Berlin war die Spannung
zwischen den vier Mächten auf den Siedepunkt gestiegen: Der erst zwei Monate
alten Armee der Deutschen Demokratischen Republik war von der Sowjetunion
gestattet worden, am 1 Mai ihre erste Militärparade auf dem Marx-Engels-Platz
in Ostberlin abzuhalten. Da hatte uns der Kalte Krieg doch glatt ein Drittel
der „High Society“ genommen und uns unseren Alltag wiedergegeben. Wir konnten
damit leben. Unsere Gäste auch? Sie haben sich bisher nicht wieder bei uns
gemeldet.
PAMIR – 1930, Clip 16&17
Ludwig
van Beethoven
Sonata
No 7, D major Op 10-3
Presto
(~7m)
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