Diese Reise hielten wir einen nordöstlichen Kurs. Das
Bermuda-Dreieck steckte dem Kapitän wohl noch in den Knochen. Andererseits
mussten wir allen Wind mitnehmen, da sich der Treibstoffvorrat für die Maschine
nicht mehrte, solange wir keinen Hafen zum Nachbunkern erreicht hatten. Ob ein
Anlaufen der Azoren als Option in Erwägung gezogen wurde, weiß ich nicht. Ich
wusste nur, dass wir nun schon fast zwei Monate auf See waren, dass es kühler
wurde und wir laut Bemerkung des Wachhabenden von gestern Mittag die Azoren in
200 Seemeilen Abstand passiert hatten. Dann schlief der Wind mal wieder ein.
Das wurde langsam so nervig wie das Kaffeemühlenmehlbrot und das in
Zuckerwasser gequollene Müsli. Seit dem Äquator saßen die Freiwachen für
Stunden an der Reling und hofften, dass an dem ins Meer gehängten Bindfaden mit
krummem Draht am Ende mal ein Fisch anbeißen würde, auch wenn es nur ein ganz
kleiner wäre. Es waren auch einige Fische zu sehen. Sie bissen nur nicht, weil
kein überzeugender Köder angebracht war. Das Beste, was wir anbieten konnten,
war etwas Rinde von unserem Ladegetreide-Brot. Mit dem Müsli ließ sich
überhaupt nichts anfangen.
Da brachte ein Funkspruch wieder Leben in die Bude: Die russische Fregatte,
deren Kennung wir verpflichtet wurden zu
ignorieren, meldete sich und erbat
eine Hrizontrundumbeobachtung.
Wegen unserer hohen Masten können wir
ein weites Seegebiet überschauen, und das mit mehreren Dutzend Augenpaaren. Die
glorreiche Sowjetunion teste in den frühen Morgenstunden ihren ersten
Weltraumsatelliten mit einem Lebewesen an Bord*). Dieser könne in einer Position rund 200 Seemeilen
Nordnordost in rund 1'500 Kilometer Höhe den Atlantik überfliegen. Alternativ
sei vorgesehen, den Satelliten in dem bezeichneten Seegebiet an einem
Fallschirm wassern zu lassen.
Wie
die Kommunikation im Einzelnen ablief, sickerte nicht durch. Uns wurde bedeutet,
dass es sich um Lebensrettung handele,
wenn in dem Gerät ein Hund sei. Allerdings bestünde keine Chance, das Seegebiet
zeitig zu erreichen, weder morgen noch übermorgen, denn man sei auf Wind
angewiesen welcher erst im potentiellen Landegebiet gegeben sei. „No problem“, soll die
Antwort gewesen sein: „Give us a towing rope and we bring you there
in time“.
*)US-Präsident
Eisenhower hatte Ende Juli 1955 die Entwicklung eines amerikanischen
Erdsatelliten in Auftrag gegeben, worauf die UdSSR vier Tage später, am 1.
August 1955, eine ähnliche Entwicklung ankündigte. Dies wurde von der
Weltöffentlichkeit teilweise als Propaganda-Coup für die Überlegenheit des
marxistisch-wissenschaftlichen Systems über den Kapitalismus (Mitteilung
Herbst 1955) angesehen. Am 30. Januar 1956 wurde die Genehmigung für den Bau
des (Sputnik) Satelliten erteilt. Der erfolgreiche Start am 4. Oktober 1957 um
19:28:34 GMT (5. Oktober Ortszeit) von einer großen Startrampe in Baikonur
(heute: Kasachstan) überraschte daher alle Welt. (Text von wikipedia, Okt.
2012)
Der Kapitän soll gegrinst und sofort die Order gegeben
haben, die neue 220 Meter lange Manila mit mehr als 10 cm Durchmesser als
Schleppleine auf der Back bereitzulegen und deren Übergabe an die Russen zu
organisieren. Die Aussicht auf Wind war zu verlockend. Wegen meiner Freiwache
bekam ich davon zunächst nichts mit, aber die Kunde verbreitete sich schnell.
Kurz darauf war alles an Deck und bereit, mit anzupacken, denn alle noch
stehenden Segel sollten geborgen und befestigt werden.
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Da die See fast ruhig war, konnte das eine Ende der Manila zügig auf der
Fregatte befestigt werden. Dann steckten wir rund 150 Meter Leine aus und
belegten die Leine auf einem Poller auf der Back an Steuerbord. Ganz langsam
nahm die Fregatte Fahrt auf, bis die Leine gespannt war. Zunächst fuhren wird 5
Knoten, 10 Minuten später 10, dann 15 Knoten. Und es dauerte nicht lange, da
zischten wir durch die See mit mehr als 23 Knoten. Der Fahrtwind erzeugte
heulende Töne in der Takelage, und in der Nähe der Back hielt sich keiner mehr
auf. Wenn die Leine jetzt reißt, sollte man weit weg sein. Alles ging gut, die
Leine brach nicht! Kurz nach Mitternacht hatte wir die Beobachtungsposition
erreicht. Die Schleppleine wurde losgeworfen und wir holten sie mit dem in
Buenos Aires reparierten Ankerspill ein.
Zwischenzeitlich waren wir instruiert worden, wonach wir
Ausschau halten sollten. Solange es dunkel war, nach einem sich bewegenden
Licht, sonst nach einem niedergehenden Fallschirm. Dann wurde eine Hälfte der
„Suchmannschaft“ bis vier Uhr zum Schlafen geschickt, wozu ich gehörte. Als ich
mit meiner Wache wieder an Deck kam, erfuhren wir von zahlreichen Meldungen
über ungewöhnliche Lichterscheinungen und merkwürdigen Flugobjekten.
Als wir die
Plätze in den Masten eingenommen hatten, ging das lustig so weiter. Da wurden
feurige Raketen, unbeleuchtete Zigarren und fliegende Untertassen gesichtet,
bis die Morgendämmerung einsetzte und diesen Spuk beendete. Schon sollte die
Aktion ca. 90 Minuten später abgebrochen werden, was dem Kapitän wegen
inzwischen guter Winde ganz recht gewesen wäre. Da erscholl vielstimmig der
Ruf: „Sinkender Fallschirm mit Objekt in 12 Seemeilen drei Strich an
Backbord!“ Auch unser Begleiter von der Roten Flotte erhielt die Nachricht,
stürmte mit voller Fahrt auf das Objekt zu und verschwand sang- und klanglos
für immer.
Nie
hätten wir erfahren, was sich abgespielt hatte, wäre unser Funker nicht
besonders clever gewesen. Der hatte sich nämlich in den Funkverkehr unserer
Weihnachts- und Filmgäste eingeschlichen. Dort hatte er die unglaubliche
Meldung von (unserer) US-Fregatte an ihre Leitstelle in New Port, Maryland
mitbekommen, dass sie die Russen mit einer in den Himmel geschossenen
Satelliten-Attrappe geleimt hätten! Die
Russen brettern gerade auf den niedergehenden Fallschirm zu.
Diese
Meldung hatten wohl auch die Russen abgehört, denn die setzten kurz darauf
diese Meldung an ihre Dienststelle ab:
„Haben
verhindert, dass der Klassenfeind Erkenntnisse vom ersten Testflug des Sputnik
hat. Die glauben, wir spinnen. Melden ferner, dass Besatzung wohl auf und hoch
motiviert über den gelungenen Aprilscherz ist.“
Das kommentierte unser
Kapitän trocken:
„Aprilscherz? Wieso? Nun haben wir endlich Wind. Alle Mann
an Deck! Setzt alle Segel! Kurs NNO, hart am Wind!“
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