Heute ist es schon
spät, aber diesen Tag muss ich sofort festhalten, sonst habe ich vielleicht Wichtiges
vergessen. Wir haben endlich frischen Proviant in Falmouth an Bord bekommen und
sofort wieder die Segel gesetzt. Nun liegen noch ein paar arbeitsreiche Tage
vor uns, bis wir Anfang Mai in Hamburg eintreffen werden.
Nachdem uns die Russen
„scherzeshalber“ in eine kräftige Windzone geschleppt hatten, gelangten wir
zügig auf die Reede von Falmouth. Im Hafen gibt es bereits seit 1600 ein
Bierhaus (Ale-House) mit dem Namen „PENNY-COME-QUICK“, was der Funker aus
Gesprächen mit John, unserem Weihnachtsposthelfer bei der Ausreise, wusste. Für
ihn hatte der Funker auch schon die verauslagten Portokosten für die
Weihnachtsbriefe eingesammelt.
Als wir gegen 14:00 Uhr
auf Reede lagen, kam Freude auf, denn in wenigen Augenblicken würden ein Boot
mit Proviant, ein Wasserboot mit Frischwasser und ein Tankschiff mit Treibstoff
kommen. Stoisch hatten wir uns Tag um Tag seit dem Äquator von unserer
Schiffsladung ernährt und waren weder verhungert noch an Skorbut bzw.
Vitaminmangel verstorben. Alles in allem waren wir prächtig drauf. Doch die
Aussicht auf Frisches, frische Eier, frische Milch, frisches Gemüse und ein
saftiges Steak waren verlockende Aussichten. Es schien, als wenn dies alles
wäre, was der Tag zu bieten hatte. Kein Landgang, kein Pub-Besuch, kein Ale,
kein helles Bier. Sofort nach der Warenlieferung sollte es noch am selben
Nachmittag weitergehen.
Als die Versorgungsboote
kamen, waren einige Matrosen, die Küchen- und Maschinenleute sowie die Azubis
damit beschäftigt, die Sachen zu übernehmen. Die meisten Besatzungsmitglieder
lehnten an der Reling und fanden es vermutlich so langweilig wie ich und den
Kurzaufenthalt eine Enttäuschung. Doch dann trat John auf den Plan, und wir
staunten nicht schlecht: John kam zu Besuch. Aber wie!
Wir hatten überhaupt
nicht wahrgenommen, dass auf der rund zwei Kilometer weit entfernten Mole etwas
im Gange war. Erst langsam merkten wir, dass da ein Ballon aufgeblasen wurde!
Unser Interesse wuchs, als wir den Ballon als den identifizierten, dem wir
unsere Weihnachtspost anvertraut hatten.
Aufgeregt blickten
wir hinüber und sahen plötzlich, wie der Ballon schwebend die Mole verließ. Was
baumelte denn da unter ihm und trieb mit
leichtem Nordwind auf uns zu? Himmel! Das war ein Bild! Nur zehn Meter
Seil trennte den Ballon vom Mann, der das Gefährt so geschickt lenkte, dass der
Eindruck entstand, er gehe über die See. Schnell war klar: Das konnte nur John
sein! Doch wie wollte er landen? Er konnte doch schweren Schaden nehmen, wenn
der Ballon in unsere Takelage geriet oder gar direkt auf unsere Bordwand
knallte! Doch der Mann hatte an alles gedacht: Rund 500 Meter bevor er uns
erreichte, jagte ein Motorboot von hinten so dicht an ihn heran, dass er mit
einem kleinen Schritt das Boot betreten und den Ballon fliegen lassen konnte.
Der verschwand sofort im dunstigen Himmel über dem Englischen Kanal; das Boot
steuerte auf uns zu
Kurz darauf kam John an
Bord. Großer Beifall und Bravo-Rufe begleiteten ihn aufs Mittschiffdeck, wo er
von der Schiffsführung herzlich empfangen wurde. Zunächst erledigte der Funker
mit ihm die Portoabrechnung, dann durfte die ganze Besatzung sich bei ihm mit
Handschlag bedanken und Fragen stellen. Hier einige wenige:
Frage: Ist Falmouth alt?
John: Der erste adlige Herrensitz wurde 1385 errichtet.
Frage: Gibt es besondere
Mythen und Legenden?
John: Viele. Ihr solltet wissen, dass in der Bucht von Falmouth Morgawr
lebt, was „See Gigant“ bedeutet. Es ist mindestens so groß wie das bekannte
Biest von Loch Ness, wobei ich den Verdacht habe, dass die Schotten etwas behaupten,
was Sie bei uns bei ruhiger See und in heißen Sommerzeiten beobachten können.
Frage: Haben Sie uns bei der Weihnachtspost geholfen, weil die Pamir die letzte
Frachtreise mit Getreide um Kap Horn gemacht und hier gelöscht hat?
John: Auch, aber viele Getreideschiffe aus Australien haben bis 1949 ihre Ladung hier gelöscht. Der Grund
ist ein anderer: Falmouth war von 1688 bis 1850 der einzige Hafen im Königreich
für alle Pakete raus und rein. Das brachte Wohlstand in die Stadt, bedeutete
aber auch eine große Verantwortung. Als Dampfschiffe diesen Service mehr und
mehr übernahmen, legten wir die Postserviceboje in den Englischen Kanal. Bis
vor einigen Jahren haben wir den Service allein angeboten, nun in Kooperation
mit den Franzosen. Da die Postboje auf Eurer Ausreise nicht auf Position lag,
fand ich es nur O.K., der Bitte Eures Funkers zu entsprechen. Das hat ja gut
geklappt. Ich habe es gerne gemacht, und auf der nächsten Ausreise könnt Ihr
sie wieder für Eure Post nutzen – wie gehabt.
Mehr Fragen habe ich
nicht mitbekommen. Mich wollte man zum Proviant-Schleppen haben. Als wir damit
fertig waren, kam auch John zum Fallreep, kletterte ins Proviantboot, und dann
verabschiedeten wir uns mit guten Wünschen und Winken. Sofort darauf hieß es:
Alle Segel setzen, und wir fuhren der Nacht entgegen.
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