Bericht 39: Falmouth

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Heute ist es schon spät, aber diesen Tag muss ich sofort festhalten, sonst habe ich vielleicht Wichtiges vergessen. Wir haben endlich frischen Proviant in Falmouth an Bord bekommen und sofort wieder die Segel gesetzt. Nun liegen noch ein paar arbeitsreiche Tage vor uns, bis  wir Anfang Mai in Hamburg eintreffen werden.      

Nachdem uns die Russen „scherzeshalber“ in eine kräftige Windzone geschleppt hatten, gelangten wir zügig auf die Reede von Falmouth. Im Hafen gibt es bereits seit 1600 ein Bierhaus (Ale-House) mit dem Namen „PENNY-COME-QUICK“, was der Funker aus Gesprächen mit John, unserem Weihnachtsposthelfer bei der Ausreise, wusste. Für ihn hatte der Funker auch schon die verauslagten Portokosten für die Weihnachtsbriefe eingesammelt. 

Als wir gegen 14:00 Uhr auf Reede lagen, kam Freude auf, denn in wenigen Augenblicken würden ein Boot mit Proviant, ein Wasserboot mit Frischwasser und ein Tankschiff mit Treibstoff kommen. Stoisch hatten wir uns Tag um Tag seit dem Äquator von unserer Schiffsladung ernährt und waren weder verhungert noch an Skorbut bzw. Vitaminmangel verstorben. Alles in allem waren wir prächtig drauf. Doch die Aussicht auf Frisches, frische Eier, frische Milch, frisches Gemüse und ein saftiges Steak waren verlockende Aussichten. Es schien, als wenn dies alles wäre, was der Tag zu bieten hatte. Kein Landgang, kein Pub-Besuch, kein Ale, kein helles Bier. Sofort nach der Warenlieferung sollte es noch am selben Nachmittag weitergehen.

Als die Versorgungsboote kamen, waren einige Matrosen, die Küchen- und Maschinenleute sowie die Azubis damit beschäftigt, die Sachen zu übernehmen. Die meisten Besatzungsmitglieder lehnten an der Reling und fanden es vermutlich so langweilig wie ich und den Kurzaufenthalt eine Enttäuschung. Doch dann trat John auf den Plan, und wir staunten nicht schlecht: John kam zu Besuch. Aber wie!

Wir hatten überhaupt nicht wahrgenommen, dass auf der rund zwei Kilometer weit entfernten Mole etwas im Gange war. Erst langsam merkten wir, dass da ein Ballon aufgeblasen wurde! Unser Interesse wuchs, als wir den Ballon als den identifizierten, dem wir unsere Weihnachtspost anvertraut hatten.

Aufgeregt blickten wir hinüber und sahen plötzlich, wie der Ballon schwebend die Mole verließ. Was baumelte denn da unter ihm und trieb mit  leichtem Nordwind auf uns zu? Himmel! Das war ein Bild! Nur zehn Meter Seil trennte den Ballon vom Mann, der das Gefährt so geschickt lenkte, dass der Eindruck entstand, er gehe über die See. Schnell war klar: Das konnte nur John sein! Doch wie wollte er landen? Er konnte doch schweren Schaden nehmen, wenn der Ballon in unsere Takelage geriet oder gar direkt auf unsere Bordwand knallte! Doch der Mann hatte an alles gedacht: Rund 500 Meter bevor er uns erreichte, jagte ein Motorboot von hinten so dicht an ihn heran, dass er mit einem kleinen Schritt das Boot betreten und den Ballon fliegen lassen konnte. Der verschwand sofort im dunstigen Himmel über dem Englischen Kanal; das Boot steuerte auf uns zu 

 

 

 

Kurz darauf kam John an Bord. Großer Beifall und Bravo-Rufe begleiteten ihn aufs Mittschiffdeck, wo er von der Schiffsführung herzlich empfangen wurde. Zunächst erledigte der Funker mit ihm die Portoabrechnung, dann durfte die ganze Besatzung sich bei ihm mit Handschlag bedanken und Fragen stellen. Hier einige wenige:

Frage: Ist Falmouth alt?     
John: Der erste adlige Herrensitz wurde 1385 errichtet.

Frage: Gibt es besondere Mythen und Legenden?       
John: Viele. Ihr solltet wissen, dass in der Bucht von Falmouth Morgawr lebt, was „See Gigant“ bedeutet. Es ist mindestens so groß wie das bekannte Biest von Loch Ness, wobei ich den Verdacht habe, dass die Schotten etwas behaupten, was Sie bei uns bei ruhiger See und in heißen Sommerzeiten beobachten können.

 Frage: Haben Sie uns bei der Weihnachtspost geholfen, weil die Pamir die letzte Frachtreise mit Getreide um Kap Horn gemacht und hier gelöscht hat?
John: Auch, aber viele Getreideschiffe aus Australien haben bis 1949
 ihre Ladung hier gelöscht. Der Grund ist ein anderer: Falmouth war von 1688 bis 1850 der einzige Hafen im Königreich für alle Pakete raus und rein. Das brachte Wohlstand in die Stadt, bedeutete aber auch eine große Verantwortung. Als Dampfschiffe diesen Service mehr und mehr übernahmen, legten wir die Postserviceboje in den Englischen Kanal. Bis vor einigen Jahren haben wir den Service allein angeboten, nun in Kooperation mit den Franzosen. Da die Postboje auf Eurer Ausreise nicht auf Position lag, fand ich es nur O.K., der Bitte Eures Funkers zu entsprechen. Das hat ja gut geklappt. Ich habe es gerne gemacht, und auf der nächsten Ausreise könnt Ihr sie wieder für Eure Post nutzen – wie gehabt.

Mehr Fragen habe ich nicht mitbekommen. Mich wollte man zum Proviant-Schleppen haben. Als wir damit fertig waren, kam auch John zum Fallreep, kletterte ins Proviantboot, und dann verabschiedeten wir uns mit guten Wünschen und Winken. Sofort darauf hieß es: Alle Segel setzen, und wir fuhren der Nacht entgegen.

 

 
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